Interview mit Gabriele Frechen MdB (SPD): |
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Wahl-Bergheim:
Liebe Frau Frechen, vorab erst einmal herzlichen Dank, dass Sie sich unseren Fragen stellen. Trotzdem lassen Sie uns mit einer etwas ketzerischen Frage beginnen. Bei all den Ämtern und Mandaten die Sie inne haben, bleibt Ihnen da überhaupt noch Zeit mal etwas für die Bergheimer Bürger zu tun ?
Gabi Frechen:
Neben
meinem Bundestagsmandat gehöre ich dem Rat der Stadt Hürth an und stelle mich
hier im September auch wieder zur Wahl. Ich habe bei meiner Bewerbung um das
Bundestagsmandat immer gesagt, dass ich die Auswirkungen der Berliner Politik
unmittelbar in der Kommune erfahren will und nicht auf Umwegen über den
Städtetag, den Städte- und Gemeindebund oder ähnliche Institutionen. Dazu stehe
ich. Das Amt der stv. Bürgermeisterin in Hürth habe ich direkt nach der Wahl wie
angekündigt aufgegeben.
Aus meiner Kanzlei habe ich mich fast gänzlich zurückgezogen, um mich in den
sitzungsfreien Wochen ganz auf die Basisarbeit zu konzentrieren, also ganz nah
dran zu sein an den Menschen in den sieben Städten und Gemeinden in meinem
Wahlkreis, in Bergheim genauso wie in den anderen.
Ihre Frage kann ich also getrost mit: „ja“ beantworten.
Wahl-Bergheim:
Auf welche aktuellen Themen werden Sie hier aus Ihrem Wahlkreis zur Zeit am meisten angesprochen und können Sie daraus entnehmen, wo die Menschen "der Schuh drückt" ?
Gabi Frechen:
Hauptthema
sind die umfangreichen Reformen aus der Agenda 2010. Oberste Priorität haben die
Veränderungen in den sozialen Sicherungssystemen, die wir anpacken, um unsere
solidarische Gesellschaft auch für unsere Kinder und Enkelkinder zukunftsfähig
zu gestalten. Da gibt es viel Erklärungsbedarf, weil nicht alle Menschen so in
diesen Themen drin sind wie ich.
Die Menschen möchten wissen, warum diese Reformen sein müssen, warum man diese
Probleme nicht vor 10 oder 20 Jahren angepackt hat und wo das Ziel dieser
Reformen ist. Und ihnen wie mir ist wichtig, dass diese Reformen gerecht
gestaltet werden.
Aber oft sind es auch Probleme direkt vor der Haustür, in den Kommunen oder im
Kreis, die bei meinen vielen Begegnungen mit den Menschen im Rhein- Erftkreis an
mich herangetragen werden.
Wahl-Bergheim:
Man fragt sich manchmal als Bürger, ob ein Abgeordneter von den vielen verschiedenen Problemen der Gesundheits-, Finanz-, Wirtschafts- bis zur Verteidigungspolitik überhaupt genug verstehen kann. Sind Sie auf irgendeinem Gebiet Expertin, haben Sie unter den ganzen Politikfeldern ein "Lieblingsfach" ?
Gabi Frechen:
Zu den Herausforderungen gehört sicher, dass die Ansprüche in Berlin und zu Hause völlig unterschiedlich sind. Ich gehöre dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages an. Durch meine berufliche Erfahrung im Bereich Steuern habe ich das nötige Rüstzeug für meinen Arbeitsschwerpunkt. Außerdem bin ich Mitglied im Petitionsausschuss und erhalte hier Einblick in die unterschiedlichsten Gesetze und Behörden. Das ist zwar sehr arbeitsintensiv, aber eben auch sehr nah an den Menschen. Hier geht es um Grundstücksfragen im Osten und Krankenkassenbeiträge für Wandergesellen ebenso wie um die Honorarordnung für Freie Berufe und Angebote der Agentur für Arbeit und vieles mehr. So erhalte ich auch sehr viele Informationen aus anderen Themenbereichen, ohne darin Expertin zu sein.
Aber das
ganze Spezialistentum ist im Wahlkreis natürlich zweitrangig. Hier kommen alle
Themen und Fachbereiche auf mich zu. Von der Handwerksordnung bis zur
Podiumsdiskussion zum Jagdgesetz ist alles dabei. Und wenn ich nicht sofort
antworten kann, ziehe ich meine Fachkolleginnen und – kollegen in Berlin zu
Rate.
Das hat mir auch noch niemand krumm genommen. Den Menschen ist eine sachlich
fundierte Antwort lieber als eine schnelle.
Wahl-Bergheim:
Sie begrüßen auf Ihrer Internetseite die Vereinbarungen zum Emissionshandel. Würden Sie sich mit der These auch vor die Bergheimer Kraftwerker trauen?
Gabi Frechen:
Aber
natürlich, das habe ich auch bereits auf den verschiedenen Ebenen der
Kraftwerker getan. Wir wissen alle, dass wir unsere Umwelt nicht unbegrenzt
belasten dürfen. Auch hier müssen wir an unsere Kinder und Enkelkinder denken.
Eine Reduzierung des CO2- Ausstoßes ist notwendig. Die Vereinbarung, die hier –
ich darf sagen: auch unter meiner ganz aktiven Teilnahme – getroffen wurde,
sieht eine moderate Senkung des Ausstosses in den ersten Jahren vor. So wird den
Unternehmen die Möglichkeit gegeben, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen
einzustellen. Die Umsetzung des Kraftwerkserneuerungsprogramms und die
Ertüchtigung älterer Kraftwerke werden dafür sorgen, dass heimische Kohle in
heimischen Kraftwerken effizient verarbeitet wird, der Strompreis
konkurrenzfähig bleibt und die Umwelt entlastet wird.
Ich weiss, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Leitung der
Kraftwerke und Tagebaue diesen nicht leicht zu erringenden Erfolg zu schätzen
wissen. Glückauf unserem Revier.
Wahl-Bergheim:
Was hat die mittelständische Wirtschaft hier in der Region von einer Vertreterin der "Arbeiterpartei" zu erwarten. Gelingt es Ihnen unparteiisch zu bleiben und auch diese zu unterstützen ?
Gabi Frechen:
Die
Leitwerte meiner Arbeit sind Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Freiheit.
Diese Werte lassen sich nicht trennen in Unternehmen und Arbeitnehmerschaft. Sie
gelten für beide. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie mit sieben Kindern. Das
stand meinem Unternehmergeist als selbständige Steuerberaterin nicht im Wege.
Beruflich hatte ich hauptsächlich mit kleineren und mittleren Unternehmen zu tun
und habe überhaupt kein Problem, die berechtigten Interessen von Handwerk,
Mittelstand und Industrie zu vertreten.
Ich habe nur dann Probleme, wenn von Unternehmenskultur nichts mehr zu spüren
ist, wenn nicht mehr Verantwortung für die Menschen übernommen wird, sondern nur
noch für Rendite und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Kostenstelle gesehen
werden, die es zu senken gilt.
Wahl-Bergheim:
Hier in Bergheim sind die Sozialdemokraten in der Opposition, aber in Ihrer Heimatstadt Hürth regiert die SPD. Haben Sie nicht manchmal Angst dabei ein bisschen schizophren zu werden, wenn Sie in der Kommune auf das schimpfen müssen, was in Düsseldorf und Berlin verzapft wurde, oder schieben Sie einfach alles auf die Grünen ?
Gabi Frechen:
Ich habe
Ihre Fragen abends um 23.15 Uhr in der U-Bahnhaltestelle Friedrichstraße
gelesen, als ich auch dem Weg von der Arbeit nach Hause war. Und bei dieser
Frage habe ich laut gelacht, weil sie einfach so richtig schön endet.
Nun zur Frage: In meiner Heimatstadt Hürth haben wir leider auch – noch – nicht
die Mehrheit. Wir haben aber, genau wie Bergheim zum Glück einen
sozialdemokratischen Bürgermeister.
Da ich „Überzeugungstäterin“ bin und meine Überzeugungen auf allen Ebenen
vertrete, komme ich nicht in die Verlegenheit, die Grünen derart zu
„missbrauchen“. Ich bin überzeugt, dass die Politik in Berlin der richtige Weg
für die Menschen in unserem Land ist. Deshalb kann ich das auch in der Kommune
vertreten. Bei den Ausführungen, besonders bei der Frage: wer zahlt was?, kann
es schon mal zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Aber das halte ich für beide
Seiten und für beide Ebenen für fruchtbar im Sinne des Ganzen.
Wahl-Bergheim:
Haben Sie es schon mal bereut, nach Berlin gegangen zu sein ?
Gabi Frechen:
Nein! Ganz
bestimmt noch nie. Ich bin stolz und glücklich hier arbeiten zu dürfen und
dieses Amt ausüben zu können. Und ich glaube, das merkt man mir auch an.
Wahl-Bergheim:
Welche Voraussetzungen muss man eigentlich erfüllen, um MdB werden zu können ?
Gabi Frechen:
Das kann
ich Ihnen nicht sagen. Das sollten Sie vielleicht die Wählerinnen und Wähler in
meinem Wahlkreis fragen, die mich mit einem Direktmandat ausgestattet nach
Berlin geschickt haben.
Meine Tochter hat einmal zu mir gesagt, als es 2001 darum ging, ob ich mich um
dieses Amt bewerben soll: „Mama, mach es. Du hast etwas zu geben. Du bist offen,
ehrlich und man sieht dir immer an, was Du denkst.“
Auf jeden Fall sollte man Menschen gern haben, zuhören können und Vertrauen
nicht vorsätzlich missbrauchen. Wenn man gebraucht wird, darf man nicht
wegtauchen und wenn etwas nicht geht, muss man auch das offen sagen.
Wahl-Bergheim:
Sind Sie immer einer Meinung mit der Bundestagsfraktion oder gehen Sie auch schon mal eigene Wege?
Gabi Frechen:
Wie ich schon sagte, trete ich leidenschaftlich für meine Überzeugungen ein. Da kann es schon mal vorgekommen, dass ich auf den unterschiedlichen Arbeitsebenen vehement Minderheitsmeinung vertrete und versuche, diese mehrheitsfähig zu machen. Wenn das allerdings nicht gelingt und die Fraktion in einer demokratischen Abstimmung meine Meinung nicht teil, akzeptiere ich diese Entscheidung. Das habe ich auch auf kommunaler Ebene immer so gehalten.
Wahl-Bergheim:
Im Moment ist hier im Kreis überall Krach in der Politik. In Bergheim spaltet sich die BMA von der SPD ab, in Bedburg überprüfen Schiedsgerichte Entscheidungen von SPD und FDP, in Frechen löst sich die Grünen-Fraktion auf und im Kreistag tritt ein langjähriges CDU-Mitglied aus der Fraktion aus. Fast immer geht es dabei um Personalentscheidungen. Was ist los mit den Politikern ?
Gabi Frechen:
Dafür habe
ich leider keine pauschale Erklärung. Ich kann mir nur denken, dass da wo
Menschen jahrelang ehrenamtlich tätig sind, es auch mal zu mehr oder weniger
heftigen Reibereien kommt. Das ist auch in Vereinen so, wo Menschen ihre
Freizeit in den Dienst einer gemeinsamen Arbeit stellen.
Ob sich eine Gruppe zu Recht oder zu Unrecht von einer größeren Gruppe falsch
behandelt fühlt, ob man sich mit der zugeteilten Rolle in Mehrheit oder
Minderheit nicht zurecht findet oder ob man nach vielen Jahren Engagement
einfach nicht mehr genug Kraft zum Streit hat, alles kann vorkommen. Denn die
Aufgabe als Kommunalpolitiker kostet viel Kraft, Zeit und oft auch Verzicht.
Genauso wie die Arbeit im Verein. Da kann aus einem dicken Fell auch schon mal
eine dünne Haut werden. Ich wünsche allen Beteiligten, dass sie ohne
Verletzungen aus diesen Streitigkeiten herauskommen.
Wahl-Bergheim:
Hier im Rhein-Erft-Kreis sind noch ca.1200 Jugendliche auf der Suche nach einer Lehrstelle. Was können Sie ihnen raten, um ihnen Mut für die Zukunft zu geben ?
Gabi Frechen:
Ich kann
nur jede Jugendliche/jeden Jugendlichen ermutigen, nicht nachzulassen bei dem
Versuch, eine Ausbildungsstelle zu finden. Guten RealschülerInnen rate ich, sich
auch auf eine Stelle zu bewerben, bei der Abitur gewünscht wird. Und wenn es auf
Anhieb mit dem Traumberuf nicht klappt, führt manchmal auch der Umweg zum Ziel.
Eine Ausbildung, der Nachweis, dass man ein Ziel drei Jahre lang verfolgen kann
und am Ende auch die Prüfung besteht, ist immer ein Qualitätsnachweis. Auch mal
bei einem Unternehmen bewerben, das nicht inseriert hat. Der persönliche
Eindruck kann Türen öffnen.
Und ich kann nur raten, sorgsam mit den Bewerbungen umzugehen. Ich war kürzlich
bei einer total aufgebrachten Friseurmeisterin, die mir eine Bewerbung an ihren
Betrieb vorlegte, in der die Bewerberin sich um eine Ausbildung als Arzthelferin
bewarb. Ich bin sicher, es war ein Textbaustein, der aus Unachtsamkeit in der
Bewerbung geblieben ist und bat darum, es als Versehen zu werten. Aber ich weiß
nicht, ob ich erfolgreich war. Deshalb mein Appell: ein ordentlicher
Schulabschluß, eine sorgfältige Bewerbung – gerne auch mit geeigneter Hilfe
erstellt – und ein guter erster persönlicher Eindruck halte ich für wichtig.
Aber Appelle allein rechen natürlich nicht. Das haben wir in den letzten Jahren
bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen gesehen. Viel zu viele Betriebe
weigern sich nach wie vor, diese gesellschaftliche Verpflichtung zu erfüllen.
Hier bedanke ich mich ausdrücklich bei den Unternehmen, die seit vielen Jahren
zum Teil weit über den Bedarf hinaus ausbilden und das als Verpflichtung
gegenüber den jungen Menschen ansehen.
Das Gesetz zur Ausbildungsumlage hat jetzt dazu geführt, dass die Wirtschaft in
den nächsten drei Jahren jeweils 30.000 zusätzliche Ausbildungsplätze zur
Verfügung stellt.
Freiwillige Lösungen sind sicher zu begrüßen und waren auch von Seiten des
Gesetzgebers immer gewünscht. Ich bin sicher, ohne den Nachdruck durch dieses
Gesetz, wäre dieser Pakt nicht zustande gekommen.
Damit darf auch die Zuversicht bei den jungen Menschen steigen, die bisher noch
keinen Ausbildungsplatz haben.
Wahl-Bergheim:
Abschließend noch eine sehr indiskrete Frage, Frau Frechen. Haben Sie schon unseren Politikertest gemacht und an wen haben Sie dabei gedacht ?
Gabi Frechen:
Ganz
ehrlich: beim Tippen habe ich spaßhalber meinen eigenen Namen eingegeben.
Ähnlichkeit kann ich allerdings nicht erkennen.
Wahl-Bergheim:
Vielen Dank für das Interview !
Vielen Dank für die Möglichkeit auf Ihrer Homepage zu erscheinen und mindestens genauso viel Dank für Ihr Engagement für die Kommunalwahl in Bergheim. Ich wünsche Ihnen, dass viele Menschen diese Seite lesen und die Wahlbeteiligung richtig hoch wird.